Im Journalismus ist die Kunst der investigativen Fragestellung eine Königsdisziplin, die an Journalistenschulen intensiv gelehrt wird. Journalisten nutzen verschiedene Techniken, um Informationen ans Licht zu bringen, die Interviewpartner meist nicht freiwillig preisgeben möchten. Führungskräfte, die Interviews in schwierigen Situationen geben, sollten diese Techniken kennen, um im Gesprächsverlauf nicht versehentlich mehr Informationen herauszugeben, als geplant.
- Die Macht der offenen Fragen
Offene Fragen sind das A und O im investigativen Interview. Anstatt einfache Ja-Nein-Antworten vorzugeben, ermuntern offene Fragen den Gesprächspartner, ausführlich zu antworten und mehr Details preiszugeben. Zum Beispiel: „Können Sie mir den Ablauf Ihrer Entscheidungsprozesse in diesem Fall erläutern?“ Solche Fragen fördern umfangreichere Antworten und enthüllen unbeabsichtigt Informationen.
- Überraschungsfragen
Überraschungsfragen bringen den Interviewpartner aus dem Konzept und provozieren spontane Reaktionen. Wenn ein Journalist eine unerwartete Frage stellt, bleibt dem Interviewpartner weniger Zeit, eine wohlüberlegte Antwort zu formulieren, was zu ehrlicheren und ungefilterten Aussagen führen kann. Beispiele für solche Fragen könnten sein: „Wie erklären Sie die Diskrepanz zwischen Ihrer öffentlichen Aussage und diesen internen Dokumenten?“ oder „Warum wurden Ihre Unternehmensentscheidungen mehrfach von verschiedenen Aufsichtsbehörden in Frage gestellt?“ Diese Fragen treffen oft unvorbereitet und können unbedachte Äußerungen auslösen.
- Konfrontative Fragestellung
Diese Technik konfrontiert den Interviewpartner direkt mit Widersprüchen oder unangenehmen Fakten. Ein Beispiel: „Sie sagten letzte Woche, dass alle Vorschriften eingehalten wurden. Wie erklären Sie dann diesen internen Bericht, der das Gegenteil beweist?“ Solche Fragen erhöhen den Druck und veranlassen den Gesprächspartner, sich zu verteidigen und dadurch mehr Informationen preiszugeben.
- Schweigen als Werkzeug
Manchmal wirkt Schweigen genauso effektiv wie eine Frage. Nachdem der Journalist eine Frage gestellt hat und der Interviewpartner geantwortet hat, führt bewusstes Schweigen dazu, dass der Gesprächspartner mehr spricht, um die Stille zu füllen, und dabei möglicherweise zusätzliche Informationen liefert.
- Die Kaskaden-Technik
Diese Technik nutzt eine Serie von Fragen, die sich wie eine Kaskade aufbauen. Der Journalist beginnt mit allgemeinen Fragen und wird immer spezifischer, um den Interviewpartner Schritt für Schritt in eine bestimmte Richtung zu lenken und tiefere Informationen zu erhalten.
- Das Prinzip des „Funnel-Interviews“
Zu Beginn des Interviews stellen Journalisten eher harmlose und allgemeine Fragen, um den Interviewpartner zu entspannen und Vertrauen aufzubauen. Im Verlauf des Gesprächs werden die Fragen spezifischer und schwieriger. Diese Technik führt dazu, dass der Interviewpartner, bereits leicht ermüdet und weniger wachsam, am Ende des Interviews dazu neigt ist, brisante Informationen preiszugeben.
Wie können sich Führungskräfte auf Investigativ-Interviews vorbereiten?
Führungskräfte können sich durch gezielte Kommunikationstrainings auf solche Interviewsituationen vorbereiten:
Medien- und Interviewtraining
Professionelle Kommunikationstrainer simulieren Interviewsituationen und setzen gezielt die oben genannten Fragetechniken ein. Führungskräfte lernen, auf überraschende oder konfrontative Fragen zu reagieren, ohne unbeabsichtigt Informationen preiszugeben.
Kernbotschaften festlegen
Ein wesentlicher Bestandteil des Trainings besteht darin, eigene Kernbotschaften klar zu definieren und einzuüben. Egal welche Fragen gestellt werden, die Führungskraft lernt, immer wieder zu diesen Botschaften zurückzukehren und die Kontrolle über das Gespräch zu behalten.
Übung im Umgang mit Stress
Interviews können stressig sein, besonders wenn heikle Themen besprochen werden. Durch Rollenspiele und Stressbewältigungstechniken lernen Führungskräfte im Kommunikationstraining, auch unter Druck ruhig und besonnen zu bleiben.
Nonverbale Kommunikation
Kommunikation ist nicht nur das gesprochene Wort. Medientrainer helfen Führungskräften, sich ihrer nonverbalen Signale bewusst zu werden und diese gezielt einzusetzen, um Sicherheit und Authentizität zu vermitteln.
Schweigen und Pausen nutzen
Ähnlich wie Journalisten Schweigen als Technik nutzen, lernen Führungskräfte im Interviewtraining, Pausen und Schweigen strategisch einzusetzen und „auszuhalten“, um sich Zeit zum Nachdenken zu verschaffen und ihre Antworten zu kontrollieren.
Simulation von „Funnel-Interviews“
Führungskräfte werden in Trainings gezielt mit Interviews konfrontiert, die harmlos beginnen und im Verlauf schwieriger werden. Dies hilft ihnen, ihre Wachsamkeit über die gesamte Dauer des Gesprächs hochzuhalten und ihre Aufmerksamkeit hoch zu halten.
Fazit
Journalisten nutzen eine Vielzahl von Fragetechniken, um verborgene Informationen ans Licht zu bringen. Führungskräfte können sich durch gezielte Kommunikationstrainings auf solche Interviews vorbereiten. Sie lernen, stressresistent zu bleiben, ihre Kernbotschaften zu festigen und auf jede Art von Fragen strategisch zu reagieren. So sind sie besser gerüstet, um ihre Botschaften klar und präzise zu vermitteln, ohne unbeabsichtigt kritische Informationen preiszugeben.