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„Führungskräfte für den Mittelstand – aber bitte nicht aufs Land?“

Ein Gespräch zwischen Frank Plümer von PLÜCOM TRAINING und Harald Fortmann, Managing Partner bei Deininger Executive Search, über Standortnachteile, neue Erwartungen und wie man digitale Spitzenkräfte trotzdem gewinnt.

Frank Plümer: Harald, wir sprechen heute über eine echte Herausforderung für den Mittelstand: Wie gewinnt man Top-Führungskräfte von außen – besonders, wenn der Unternehmenssitz eben nicht in Berlin, Hamburg oder München liegt?

Harald Fortmann: Ja, das Thema begegnet mir ständig. Wir begleiten viele Mittelständler genau bei dieser Frage. Der Standort ist oft ein größeres Hindernis, als man denkt – und zwar unabhängig davon, ob jemand 35 oder 55 Jahre alt ist.

Ich erinnere mich an einen deiner LinkedIn-Posts: „Würdest du für einen Mittelständler umziehen?“ Die Kommentare waren deutlich – viele sagten, sie würden dafür nicht ihr Netzwerk, ihre Kinderbetreuung oder das soziale Umfeld aufgeben. Und manche hatten Vorurteile gegenüber der Unternehmenskultur – Stichwort Seniorchef, der alles besser weiß. Wie siehst du das?

Das trifft den Punkt. Der Wohnort außerhalb der Ballungsräume ist für viele ein No-Go geworden – selbst wenn die Aufgabe reizvoll wäre. Die Leute wollen heute nicht mehr einfach nur Karriere machen – sie wollen auch leben. Das gilt nicht nur für die Jüngeren. Und dann kommt Remote-Arbeit dazu: Seit Corona wissen viele, dass es auch ohne tägliche Präsenz geht. Warum also umziehen?

Und was bedeutet das für Mittelständler, die nun mal in eher ländlichen Regionen sitzen?

Man muss kreativer werden. Wir suchen gezielt nach Menschen mit einer emotionalen Verbindung zur Region – weil sie dort studiert haben, aufgewachsen sind oder Familie dort lebt. So ein Ankerpunkt kann der Türöffner sein.

Ein Beispiel: Eine Kandidatin, die wegen ihrer Eltern gerne wieder in die Heimat zurückwollte – aber nie aktiv nach einem Job dort gesucht hätte. Erst durch unsere Ansprache kam sie überhaupt auf die Idee.

Das zeigt: Es braucht mehr als ein gutes Gehalt. Was erwarten Kandidatinnen und Kandidaten heute – was muss ich bieten, um attraktiv zu sein?

Vor allem: echten Gestaltungsspielraum. Viele wollen etwas bewegen, nicht nur verwalten. Und sie wollen Vertrauen – in ihre Kompetenzen, in ihre Selbstorganisation. Vertrauensarbeitszeit, hybrides Arbeiten, eine gute Story hinter dem Unternehmen, eine moderne Führungskultur. Das zählt heute viel mehr als Statussymbole.

Dazu kommen weiche Faktoren wie Unterstützung bei der Kinderbetreuung, betriebliche Altersvorsorge oder ein durchdachtes Onboarding.

Und was mache ich, wenn ich den digitalen „Top-Performer“ brauche – aber als Mittelständler nicht mit Konzerngehältern mithalten kann?

Viele Mittelständler unterschätzen, wie stark sie mit Sinn und Aufgabe punkten können. Wer wirklich gestalten will, geht dafür auch mal beim Gehalt etwas runter – sofern die Aufgabe passt. Und man kann mit variablen Vergütungsmodellen arbeiten, zum Beispiel Long-Term-Incentives.

Wenn jemand in drei Jahren messbar zur Transformation beiträgt, dann soll sich das auch auszahlen. Das wirkt oft überzeugender als ein hohes Fixum.

Bedeutet das im Umkehrschluss: Ich muss lernen, auch mit „70-Prozent-Kandidaten“ zu arbeiten?

Unbedingt. Ich sage immer: 80 Prozent ist kulturelle Passung, 20 Prozent ist Fachwissen. Die Kultur entscheidet, ob jemand langfristig erfolgreich ist. Wer Lust auf Entwicklung hat, der wächst schnell in neue Aufgaben rein. Ich bin überzeugt: Ein „70-Prozent-Kandidat“ mit Energie und Neugier ist oft der bessere Fit als ein vermeintlicher 100-Prozent-Profi, der nur noch verwaltet.

Du hast im Vorgespräch gesagt, wir müssten „skandinavischer denken“. Was meinst du damit?

In Skandinavien schaut man auf Potenziale – nicht nur auf Lebensläufe. Man fragt: Was bringt jemand mit, wo will er hin, was kann er entwickeln? Bei uns wird oft nur geprüft, ob jemand genau diesen Job schon mal gemacht hat. Das bremst Innovation. Wir müssen stärker auf Entwicklung, Haltung und Werte schauen – und bereit sein, ungewöhnliche Wege zu gehen.

Stichwort Werte: Wie wichtig ist das aus deiner Sicht in Auswahl und Integration?

Essentiell. Ohne gemeinsame Werte wird es nicht funktionieren. Ich investiere im Auswahlprozess viel Zeit darin zu verstehen, wie jemand tickt. Ich will wissen, was ihm wichtig ist, was ihn antreibt.

Wenn das mit dem Unternehmen harmoniert, ist alles möglich. Aber wenn’s nicht passt, helfen auch Top-Referenzen nichts. Und: Gute Onboarding-Programme, Buddy-Systeme, eine offene Willkommenskultur – das alles zeigt, dass ein Unternehmen es ernst meint.

Noch ein kurzer Schwenk zur Digitalisierung: Viele Mittelständler wissen, dass sie nachziehen müssen – aber woher die Leute nehmen?

Viele Digitalköpfe wollen etwas Reales bewegen. Sie erwarten moderne Strukturen, kurze Wege, echte Entscheidungsspielräume. Digitalisierung bedeutet auch: Prozesse verändern, Kultur anpassen, Kommunikation verbessern.

Und beim Thema KI: Viele denken, das spart Personal. Ich sage: Nutzt es lieber, um mit euren bestehenden Teams mehr zu erreichen. Das ändert das Mindset – und macht euch attraktiver für gute Leute.

Und wenn das Budget wirklich knapp ist?

Dann heißt es: kreativ werden. Viele Digitalisierungsexperten sind offen für neue Modelle – etwa eine kleinere Grundvergütung in Verbindung mit langfristig angelegten Boni bei Erreichen klarer Erfolgsziele. Wenn der Mittelständler bereit ist, Verantwortung abzugeben und Erfolge zu teilen, funktioniert das.

Aber man muss Arbeit und Entlohnung neu denken – und nicht mehr nur in klassischen Tariflogiken verharren.

Was sind Deine drei Top-Insights für unsere Leserinnen und Leser?

Das sind für mich die folgenden Punkte:

1. Strategische HR ist der Schlüssel – vom Anforderungsprofil über das Recruiting bis zur Nachfolgeplanung.

2. Gestaltungsspielraum, Kultur und Vertrauen zählen heute mehr als Standort oder Gehalt.

3. Sichtbarkeit ist Pflicht – Hidden Champions müssen aktiver ins Employer Branding investieren, wenn sie draußen als attraktive Arbeitgeber wahrgenommen werden wollen.

Vielen Dank, Harald – das war extrem aufschlussreich.

Harald R. Fortmann ist Partner bei Deininger, einer der führenden Personalberatungen in Deutschland. Dort unterstützt er Familienunternehmen, börsennotierte Konzerne und technologieorientierte Scale-ups bei der Suche nach Führungspersönlichkeiten, die langfristige Wirkung entfalten.

Über seine Tätigkeit im Executive Search hinaus engagiert sich Harald R. Fortmann als Autor, Herausgeber, Lehrbeauftragter und aktives Mitglied in verschiedenen Branchen- und Berufsverbänden – derzeit u.a. als Vizepräsident des Bundesverbands Deutscher Unternehmensberatungen (BDU) e.V.

Er bringt seine Expertise regelmäßig in den Dialog an der Schnittstelle von Unternehmenspraxis, Politik und Führungskräfteentwicklung ein.

Seine Überzeugung: Die Besetzung von Führungspositionen sollte nicht nur Strukturen erhalten, sondern Potenziale freisetzen – strategisch, kulturell und persönlich.

Harald Fortmann auf LinkedIn: https://www.linkedin.com/in/hrfortmann/

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Frank Plümer: Harald, wir sprechen heute über eine echte Herausforderung für den Mittelstand: Wie gewinnt man Top-Führungskräfte von außen – besonders, wenn der Unternehmenssitz eben nicht in Berlin, Hamburg oder München liegt?

Harald Fortmann: Ja, das Thema begegnet mir ständig. Wir begleiten viele Mittelständler genau bei dieser Frage. Der Standort ist oft ein größeres Hindernis, als man denkt – und zwar unabhängig davon, ob jemand 35 oder 55 Jahre alt ist.

Ich erinnere mich an einen deiner LinkedIn-Posts: „Würdest du für einen Mittelständler umziehen?“ Die Kommentare waren deutlich – viele sagten, sie würden dafür nicht ihr Netzwerk, ihre Kinderbetreuung oder das soziale Umfeld aufgeben. Und manche hatten Vorurteile gegenüber der Unternehmenskultur – Stichwort Seniorchef, der alles besser weiß. Wie siehst du das?

Das trifft den Punkt. Der Wohnort außerhalb der Ballungsräume ist für viele ein No-Go geworden – selbst wenn die Aufgabe reizvoll wäre. Die Leute wollen heute nicht mehr einfach nur Karriere machen – sie wollen auch leben. Das gilt nicht nur für die Jüngeren. Und dann kommt Remote-Arbeit dazu: Seit Corona wissen viele, dass es auch ohne tägliche Präsenz geht. Warum also umziehen?

Und was bedeutet das für Mittelständler, die nun mal in eher ländlichen Regionen sitzen?

Man muss kreativer werden. Wir suchen gezielt nach Menschen mit einer emotionalen Verbindung zur Region – weil sie dort studiert haben, aufgewachsen sind oder Familie dort lebt. So ein Ankerpunkt kann der Türöffner sein.

Ein Beispiel: Eine Kandidatin, die wegen ihrer Eltern gerne wieder in die Heimat zurückwollte – aber nie aktiv nach einem Job dort gesucht hätte. Erst durch unsere Ansprache kam sie überhaupt auf die Idee.

Das zeigt: Es braucht mehr als ein gutes Gehalt. Was erwarten Kandidatinnen und Kandidaten heute – was muss ich bieten, um attraktiv zu sein?

Vor allem: echten Gestaltungsspielraum. Viele wollen etwas bewegen, nicht nur verwalten. Und sie wollen Vertrauen – in ihre Kompetenzen, in ihre Selbstorganisation. Vertrauensarbeitszeit, hybrides Arbeiten, eine gute Story hinter dem Unternehmen, eine moderne Führungskultur. Das zählt heute viel mehr als Statussymbole.

Dazu kommen weiche Faktoren wie Unterstützung bei der Kinderbetreuung, betriebliche Altersvorsorge oder ein durchdachtes Onboarding.

Und was mache ich, wenn ich den digitalen „Top-Performer“ brauche – aber als Mittelständler nicht mit Konzerngehältern mithalten kann?

Viele Mittelständler unterschätzen, wie stark sie mit Sinn und Aufgabe punkten können. Wer wirklich gestalten will, geht dafür auch mal beim Gehalt etwas runter – sofern die Aufgabe passt. Und man kann mit variablen Vergütungsmodellen arbeiten, zum Beispiel Long-Term-Incentives.

Wenn jemand in drei Jahren messbar zur Transformation beiträgt, dann soll sich das auch auszahlen. Das wirkt oft überzeugender als ein hohes Fixum.

Bedeutet das im Umkehrschluss: Ich muss lernen, auch mit „70-Prozent-Kandidaten“ zu arbeiten?

Unbedingt. Ich sage immer: 80 Prozent ist kulturelle Passung, 20 Prozent ist Fachwissen. Die Kultur entscheidet, ob jemand langfristig erfolgreich ist. Wer Lust auf Entwicklung hat, der wächst schnell in neue Aufgaben rein. Ich bin überzeugt: Ein „70-Prozent-Kandidat“ mit Energie und Neugier ist oft der bessere Fit als ein vermeintlicher 100-Prozent-Profi, der nur noch verwaltet.

Du hast im Vorgespräch gesagt, wir müssten „skandinavischer denken“. Was meinst du damit?

In Skandinavien schaut man auf Potenziale – nicht nur auf Lebensläufe. Man fragt: Was bringt jemand mit, wo will er hin, was kann er entwickeln? Bei uns wird oft nur geprüft, ob jemand genau diesen Job schon mal gemacht hat. Das bremst Innovation. Wir müssen stärker auf Entwicklung, Haltung und Werte schauen – und bereit sein, ungewöhnliche Wege zu gehen.

Stichwort Werte: Wie wichtig ist das aus deiner Sicht in Auswahl und Integration?

Essentiell. Ohne gemeinsame Werte wird es nicht funktionieren. Ich investiere im Auswahlprozess viel Zeit darin zu verstehen, wie jemand tickt. Ich will wissen, was ihm wichtig ist, was ihn antreibt.

Wenn das mit dem Unternehmen harmoniert, ist alles möglich. Aber wenn’s nicht passt, helfen auch Top-Referenzen nichts. Und: Gute Onboarding-Programme, Buddy-Systeme, eine offene Willkommenskultur – das alles zeigt, dass ein Unternehmen es ernst meint.

Noch ein kurzer Schwenk zur Digitalisierung: Viele Mittelständler wissen, dass sie nachziehen müssen – aber woher die Leute nehmen?

Viele Digitalköpfe wollen etwas Reales bewegen. Sie erwarten moderne Strukturen, kurze Wege, echte Entscheidungsspielräume. Digitalisierung bedeutet auch: Prozesse verändern, Kultur anpassen, Kommunikation verbessern.

Und beim Thema KI: Viele denken, das spart Personal. Ich sage: Nutzt es lieber, um mit euren bestehenden Teams mehr zu erreichen. Das ändert das Mindset – und macht euch attraktiver für gute Leute.

Und wenn das Budget wirklich knapp ist?

Dann heißt es: kreativ werden. Viele Digitalisierungsexperten sind offen für neue Modelle – etwa eine kleinere Grundvergütung in Verbindung mit langfristig angelegten Boni bei Erreichen klarer Erfolgsziele. Wenn der Mittelständler bereit ist, Verantwortung abzugeben und Erfolge zu teilen, funktioniert das.

Aber man muss Arbeit und Entlohnung neu denken – und nicht mehr nur in klassischen Tariflogiken verharren.

Was sind Deine drei Top-Insights für unsere Leserinnen und Leser?

Das sind für mich die folgenden Punkte:

1. Strategische HR ist der Schlüssel – vom Anforderungsprofil über das Recruiting bis zur Nachfolgeplanung.

2. Gestaltungsspielraum, Kultur und Vertrauen zählen heute mehr als Standort oder Gehalt.

3. Sichtbarkeit ist Pflicht – Hidden Champions müssen aktiver ins Employer Branding investieren, wenn sie draußen als attraktive Arbeitgeber wahrgenommen werden wollen.

Vielen Dank, Harald – das war extrem aufschlussreich.

Harald R. Fortmann ist Partner bei Deininger, einer der führenden Personalberatungen in Deutschland. Dort unterstützt er Familienunternehmen, börsennotierte Konzerne und technologieorientierte Scale-ups bei der Suche nach Führungspersönlichkeiten, die langfristige Wirkung entfalten.

Über seine Tätigkeit im Executive Search hinaus engagiert sich Harald R. Fortmann als Autor, Herausgeber, Lehrbeauftragter und aktives Mitglied in verschiedenen Branchen- und Berufsverbänden – derzeit u.a. als Vizepräsident des Bundesverbands Deutscher Unternehmensberatungen (BDU) e.V.

Er bringt seine Expertise regelmäßig in den Dialog an der Schnittstelle von Unternehmenspraxis, Politik und Führungskräfteentwicklung ein.

Seine Überzeugung: Die Besetzung von Führungspositionen sollte nicht nur Strukturen erhalten, sondern Potenziale freisetzen – strategisch, kulturell und persönlich.

Harald Fortmann auf LinkedIn: https://www.linkedin.com/in/hrfortmann/

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