„Authentisch führen heißt: Sei Du selbst und spiele keine Rolle!“, „Authentisch führen: Als Führungskraft Emotionen zeigen“, „Authentisch sein: Stehe zu Dir selbst!“. So in etwa lauten die Headlines, wenn Sie nach dem Thema „authentisches Auftreten“ im Internet suchen.
Das Thema Authentizität ist zu einem Schlagwort geworden, das oft als Schlüssel zum Erfolg für Führungskräfte gepriesen wird. Doch bei genauerer Betrachtung offenbart sich der Hype als ein Irrweg oder zumindest als ein Missverständnis. Ein natürlicher, unverfälschter und nahbarer Auftritt ist zwar grundsätzlich wünschenswert. Aber im professionellen Kontext geht es immer darum, eine Rolle einzunehmen und sich diese möglichst bewusst zu machen. Eine Rolle, die aus einer Vielzahl von Erwartungen entsteht – sowohl von außen als auch von innen.
Die Komplexität der Führungsrolle
Führungskräfte stehen ständig im Spannungsfeld zwischen verschiedenen Erwartungshaltungen. Sie müssen die Erwartungen der Hierarchie erfüllen, also den Ansprüchen ihrer Vorgesetzten, Stakeholder und Investoren gerecht werden. Gleichzeitig gibt es die Rollenerwartungen des jeweiligen Publikums – seien es Mitarbeiter, Journalisten oder Kunden. Hinzu kommen die eigenen Rollenerwartungen, also die Art und Weise, wie Führungskräfte selbst wahrgenommen werden möchten. Diese komplexe Gemengelage führt dazu, dass pure Authentizität oft nicht ausreicht oder sogar kontraproduktiv sein kann.
Warum ist die Rollenadaption erforderlich?
Je nach Situation müssen sich Führungskräfte unterschiedlich verhalten und präsentieren. Ein CEO, der in einer Krisensituation vor die Presse tritt, kann nicht dieselbe Natürlichkeit an den Tag legen wie in einem informellen Gespräch mit Mitarbeitern. Die Erwartungen der verschiedenen Stakeholder sind zu unterschiedlich. Investoren erwarten klare, strategische Aussagen und Sicherheit; Mitarbeiter brauchen Inspiration und Motivation; Kunden wollen Vertrauen und Verlässlichkeit spüren. Die Fähigkeit, sich an diese verschiedenen Rollen anzupassen, ist daher essenziell für den Erfolg einer Führungskraft.
Authentizität vs. Professionelle Distanz
Ein zu starkes Festhalten an Authentizität kann zu einer mangelnden professionellen Distanz führen. Führungskräfte müssen in der Lage sein, Entscheidungen zu treffen, die nicht immer populär sind, und dabei professionell und objektiv bleiben. Zu viel Authentizität kann hier hinderlich sein, da sie emotionale Nähe schaffen kann, die den Blick auf das Wesentliche trübt. Es gilt, eine Balance zu finden zwischen Nähe und Distanz, zwischen Authentizität und professioneller Rollenwahrnehmung.
Welche Risiken bergen vermeintlich authentische Auftritte?
Vermeintlich authentische Auftritte, bei denen Führungskräfte versuchen, besonders nahbar und natürlich zu wirken, können auch massiv irritieren – insbesondere, wenn auf Seiten des Publikums Repräsentationserwartungen im Spiel sind. Ein Kanzler, der im Pullover vor die Kameras tritt, ein CEO, der im Hoody auf einer Konferenz erscheint, oder ein Staatspräsident, der sich in einer Lederjacke präsentiert – solche Auftritte mögen gut gemeint sein, um eine lockere und bodenständige Haltung zu demonstrieren, doch sie können oft das Gegenteil bewirken.
Diese unpassenden Auftritte können die Autorität und Ernsthaftigkeit einer Führungskraft in Frage stellen und zu einem Vertrauensverlust führen. Beispielsweise kann ein Bankvorstand, der in legerer Kleidung bei einem Aktionärstreffen erscheint, als unprofessionell und respektlos gegenüber den Investoren wahrgenommen werden. Ein Schulrektor, der sich auf einer offiziellen Schulveranstaltung in Jogginghose zeigt, könnte bei Eltern und Lehrkräfte Zweifel an dessen Integrität auslösen.
Warum sollte Authentizität als Mittel, nicht als Zweck verstanden werden?
Authentizität sollte als Mittel zum Zweck gesehen werden, nicht als Selbstzweck. Sie dient dazu, Vertrauen aufzubauen und Glaubwürdigkeit zu vermitteln, aber sie darf nicht die einzige Grundlage für Führungskommunikation sein. Eine gute Führungskraft versteht es, authentische Elemente in ihre professionelle Rolle zu integrieren, ohne sich dabei komplett auf ihre natürliche Persönlichkeit zu verlassen. Diese Integration erfordert ein hohes Maß an Selbstreflexion und Anpassungsfähigkeit. Diese innere Arbeit sollte auch fester Bestandteil einer Vorbereitungsroutine vor größeren Auftritten vor Kamera oder Publikum sein. Denn nur, wenn die Rollenerwartungen und das Selbstbild übereinstimmen, kommt ein wirkungsvoller, in sich stimmiger Auftritt zustande.
Fazit
Der Hype um Authentizität bei Führungskräften verkennt die Komplexität der Führungsrolle. Ein natürlicher, unverfälschter und nahbarer Auftritt ist zwar erstrebenswert, reicht aber in der professionellen Praxis nicht aus. Führungskräfte müssen in der Lage sein, verschiedene Rollen einzunehmen und vielfältigen Erwartungen gerecht zu werden.
Authentizität sollte dabei als ein Stilmittel unter vielen gesehen werden, das dazu beiträgt, Vertrauen und Glaubwürdigkeit zu schaffen, aber nicht als alleiniges Führungsprinzip. Der Schlüssel zum Erfolg liegt in der Fähigkeit, authentische Elemente gekonnt in die professionelle Rolle zu integrieren und dabei stets die Balance zwischen Nähe und Distanz zu wahren. Diese Balance kann im Rahmen von Kommunikationstrainings professionell unter Anleitung erfahrener Experten entwickelt und eingeübt werden.